Liebe Anna, lieber Hendrik,
endlich hatte ich mal ein bisschen Pause und habe mir dabei das Interview Eurer Mutter und den Song von Anna und Eurem Papa im Radio Siebenbürgen angehört. Ich wartete dabei gespannt auf Geschichten und Dinge, die Euch betreffen, da Ihr ja meine Freunde seid. Ich bin sehr froh, dass ich so viel über Euch erfahren konnte und beneide Euch auch ein bisschen, weil Ihr so viel von dieser Welt mitnehmen könnt, was für uns damals in Meschen doch ein bisschen eingeschränkter war, auch wenn es die schönste Kindheit dieser Welt war.
Zwei Bemerkungen sind mir länger durch den Kopf gegangen, deswegen möchte ich Euch dazu ein paar Erinnerungen aus Meschen erzählen, weil ihr doch sehr neugierig seid, was das Leben in Siebenbuergen angeht.
Als Erstes war ich sehr beeindruckt über die Art und Weise, wie Ihr Euch vorstellt, wenn neue Kinder in Eurer Schule „willkommen geheißen“ werden. Dass Ihr das in Eurer Muttersprache macht und die Verbindungen mit den Volksgruppen, die in Eurem Alltag eine Rolle spielen, ansprecht, finde ich sehr beeindruckend. Eine spannende Frage hab ich noch: es könnte ja sein, dass Ihr die einzigen Sachsen seid, die Te Reo Maori sprechen. Stimmt das?
In meiner Zeit in Meschen wurden Kinder in die siebenbürgisch-sächsische Community hineingeboren, aber sehr früh kamen auch Kinder mit anderen Kulturen in Verbindung. So zum Beispiel im Kindergarten, waren die sächsischen Kinder zwar im gleichen Gebäude aber in getrennten Klassen mit den rumänischen und Sinti- bzw. Roma-Kindern aus unserem Dorf. Sie liefen sich nur in den Pausen über den Weg. Später in der Schule spielten sie oft Fußball, miteinander und gegeneinander. Wenn ich jetzt, viele Jahre später darauf zurückschaue, war es ein wunderschönes Miteinander, auch wenn es im Winter die eine oder andere Schneeballschlacht gegeneinander, gab. Auch wenn die Kinder sich in unterschiedlichen Sprachen ausdrueckten, wenn es um Schneeballschlacht oder Fussball ging, waren sie auf der gleichen Wellenlänge.

Neue Kinder kamen nach Meschen in die Schule eigentlich nur einmal, Anfang der 5.ten Klasse aus Almen und Nimesch, da sie in ihrem Dorf nur eine Grundschule mit 4. Klassen hatten. Da musste sich keiner vorstellen, sie waren dann, von heute auf morgen, ganz einfach Klassenkameraden. Dass das Sächsisch der Neuankömmlinge etwas anders klang, fanden sie alle etwas lustig, spielte aber keine wirkliche Rolle. Es war für alle bereichernd, dass die kleine Gruppe in Meschen damals größer wurde.
Ich beneide euch ein bisschen, weil ihr anziehen könnt, was ihr wollt. Die Kinder früher in Meschen konnten nur das anziehen, was sie hatten. Jetzt verstehe ich auch die kreative Trachtenzusammenstellung von Hendrik in Hermannstadt ein bisschen besser. Ich muss euch gestehen, ich war doch ein bisschen überrascht, das sächsische Trachtenhemd zusammen mit kniehohen Jeans zu sehen, die sogar Löcher hatten, und dazu noch Hendrik seinen langen und lockigen Wuschelkopf.
Ich war fasziniert und dachte „Mensch, wie gerne hätten manche Jungs damals auch längere Haare gehabt“. Stellt euch vor, damals in Meschen wurden besonders die Jungs vor jedem Feiertag zum Friseur geschleppt. Kinder sind in Meschen nie in Jeans und Trachtenhemd gekleidet gewesen. Zur Tracht trugen Jungs eine schwarze Stoffhose. Punkt. Ich kenne einige Jungs, deren Hosen von eurem Opa Hans maßgeschneidert wurden und fragte mich, wo wohl die geschneiderte schwarze Hose für seinen Enkel verblieben war? Nach etwas Nachdenken kam ich zu dem Entschluss: Dass in der globalisierten Welt, die Kleiderordnung von unseren alten Meschner oder auch sächsischen Traditionen sich von den jungen Meschnern unterscheidet und sich auch anpasst, ist eigentlich eine coole Entwicklung. Vielleicht probiert Hendrik mal eine Stiefelhose an, wenn er erwachsen ist?
Es würde mich sehr freuen, wieder von Euch zu lesen.
Hans Reinerth, Kerstin Kramar